Wertpapierleihe: Erklärung, Beispiele & Risiken

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Wertpapierleihe: Erklärung, Beispiele & Risiken

Die Wertpapierleihe gehört zu den wichtigsten Instrumenten auf dem Kapitalmarkt. Vor allem in Verbindung mit sogenannten Leerverkäufen von Wertpapieren taucht sie regelmäßig in der Finanzmarktberichterstattung auf. Trotzdem verfügen meist nur Finanzmarktprofis über einschlägiges Knowhow in Bezug auf die Wertpapierleihe. Doch auch für Privatanleger hat die Wertpapierleihe im Zusammenhang mit Investmentfonds ihre Bedeutung.

Wie ist eine Wertpapierleihe definiert?

Bei einer Wertpapierleihe handelt es sich um eine Transaktion, bei der ein Verleiher einem Entleiher ein Wertpapier für einen vertraglich festgelegten Zeitraum zur Nutzung überlässt. Am Ende des Zeitraums ist der Entleiher verpflichtet, Wertpapiere von gleicher Art und Güte an den Verleiher zurückzugeben.

In rechtlicher Hinsicht stellt die Wertpapierleihe kein Leihgeschäft dar, sondern ein Sachdarlehen in Wertpapieren. Im Unterschied zu einem klassischen Leihgeschäft wird der Entleiher zum Eigentümer der Wertpapiere und muss nicht exakt die ursprünglich entliehenen Papiere, sondern nur solche gleicher Art und Güte zurückgeben. Trotz der an sich irreführenden Begrifflichkeit hat sich der Begriff der Wertpapierleihe in der Praxis durchgesetzt.

Als Gegenleistung für das Verleihen der Wertpapiere erhält der Verleiher vom Entleiher eine Nutzungsgebühr. Zudem wird überdies vereinbart, dass der Entleiher dem Verleiher während des Leihzeitraums entgangene Gewinne, beispielsweise aus Zins- oder Dividendenzahlungen, erstatten muss.

Welche Vorteile hat die Wertpapierleihe für den Verleiher?

Der Verleiher kann über die Ausleihung seiner Wertpapiere seine Rendite verbessern. Vor allem große Fondsgesellschaften erschließen sich in der Praxis mit der Wertpapierleihe eine zusätzliche Ertragsquelle. Da sie im Besitz großer Wertpapierpositionen sind, können sie die Rendite ihrer einzelnen Fonds durch das Verleihen von Papieren erhöhen. Dies spielt insbesondere bei ETFs (Exchange Traded Funds) eine Rolle, da sie auf diese Weise die Rendite ihres Vergleichsindex übertreffen können.

Die Höhe der Leihgebühr hängt sowohl von der jeweiligen Anlageklasse als auch von der Nachfrage ab. Die Leihgebühr wird von Fondsgesellschaften jedoch nicht in voller Höhe den Fonds und letztlich den Anlegern gutgeschrieben. Die meisten Gesellschaften reichen zwischen 60 und 70 Prozent der Einnahmen aus den Verleihgebühren weiter. 30 bis 40 Prozent werden zur Deckung von Betriebskosten einbehalten. In der Praxis generieren Fonds über die Wertpapierleihe eine Zusatzrendite von etwa 0,1 Prozent pro Jahr. In Ausnahmefällen kann sie auch ein Prozent p.a. übersteigen.

Außerdem können Fonds durch Leihgeschäfte auch in steuerlicher Hinsicht profitieren, da die durch die Wertpapierleihe erhaltenen Gebühren vom Fiskus geringer besteuert werden als Kapitalerträge. Dies ist besonders vorteilhaft, wenn der Entleiher Zinsen oder Dividenden in Form von Gebühren an die verleihende Fondsgesellschaft entrichtet.

Welche Vorteile hat die Wertpapierleihe für den Entleiher?

Der Entleiher wird bei einer Wertpapierleihe zum Eigentümer der Wertpapiere, was bedeutet, dass er frei über sie verfügen kann. In der Praxis wird die Wertpapierleihe vor allem für sogenannte Leerverkäufe genutzt. Leerverkäufe sind ein häufig eingesetztes Instrument professioneller Wertpapierhändler, um auf fallende Kurse zu setzen. Im Gegensatz zur „normalen“ Anlagestrategie, Wertpapiere möglichst günstig zu kaufen und zu einem späteren Zeitpunkt möglichst teuer zu verkaufen, ist das Prinzip hinter einem Leerverkauf umgekehrt. In diesem Fall möchte ein Händler bzw. Anleger Wertpapiere teuer verkaufen und im Anschluss wieder günstig zurückkaufen.

Beispiel für eine Wertpapierleihe mit Leerverkauf

Du bist der Meinung, dass die Aktie eines Technologieunternehmens stark überbewertet ist. Da du nicht über die finanziellen Mittel verfügst, größere Aktiengeschäfte zu tätigen, nimmst du das Instrument der Wertpapierleihe in Anspruch, um auf fallende Aktienkurse des Technologieunternehmens zu setzen.

Dazu leihst du dir von einem Fonds 10.000 Aktien des Unternehmens für einen Zeitraum von einem Monat aus. Der Fonds verlangt dafür eine Leihgebühr von 10.000 Euro. Im Anschluss verkaufst du die 10.000 Aktien zu einem Kurs von 100 Euro je Stück und generierst somit einen Veräußerungserlös von einer Million Euro. Nach einem Monat ist – wie von dir vorhergesagt – der Aktienkurs des Technologieunternehmens auf 70 Euro gesunken. Du kaufst 10.000 Aktien zu diesem Kurswert an (zu einem Gesamtkaufpreis von somit 700.000 Euro) und gibst die Wertpapiere dem Fonds zurück. Der Gewinn deiner Wertpapierleihe mit Leerverkauf liegt bei insgesamt 290.000 Euro. 300.000 Euro Gewinn hast du über den Leerverkauf gemacht und 10.000 Euro sind dir an Kosten durch die Wertpapierleihe entstanden. Ein Gewinn von 290.000 Euro bei einem eingesetzten Kapital von 10.000 Euro über einen Zeitraum von einem Monat hätte dir einen exorbitant hohen Return on Investment generiert.

Angenommen, der Kurs des Technologieunternehmens wäre bei 100 Euro verharrt. In diesem Fall hättest du mit deinem Geschäft einen Verlust von 10.000 Euro eingefahren. Mit dem Leerverkauf hättest du weder Gewinn noch Verlust gemacht. Für die Wertpapierleihe wären jedoch trotzdem 10.000 Euro Gebühr fällig geworden.

Wäre der Kurs des Technologieunternehmens im Zeitraum deiner Wertpapierleihe gestiegen, hättest du hingegen einen massiven Verlust erlitten. Bei einer Kurssteigerung von 100 auf 120 Euro hättest du die geliehenen 10.000 Aktien für insgesamt 200.000 Euro mehr zurückkaufen und zusätzlich noch 10.000 Euro für die Wertpapierleihe bezahlen müssen.

Welche Risiken gibt es bei der Wertpapierleihe?

Für den Verleiher birgt die Wertpapierleihe das grundsätzliche Risiko, dass der Entleiher nicht in der Lage ist, die entliehenen Wertpapiere (aus welchem Grund auch immer) zurückzugeben. Dieses Risiko können Wertpapierverleiher dadurch ausschalten, dass sie den Entleiher einer genauen Prüfung in Bezug auf die Ausfallsicherheit unterziehen und zusätzlich Sicherheiten verlangen. Diese Sicherheiten werden im Regelfall in Form von qualitativ hochwertigen und liquiden Wertpapieren gestellt. Dazu zählen beispielsweise Unternehmensanleihen mit Investment-Grade Rating, Staatsanleihen finanziell stabiler Länder oder Aktien aus anerkannten Märkten. Die Sicherheiten werden in einem separaten Depot verwahrt und müssen in Summe den Wert der verliehenen Wertpapiere übersteigen. In der Praxis übersteigt der Wert der Sicherheiten den Wert der verliehenen Wertpapiere um fünf bis zehn Prozent. Damit stellt der Verleiher sicher, dass er auch bei einer Nichtrückgabe der Wertpapiere den vollen Wertausgleich für die Papiere und die entgangene Leihgebühr erhält. Viele Wertpapier verleihende Fondsgesellschaften geben ihren Anlegern zudem eine Ausfallgarantie. Sollte der Entleiher die Wertpapiere nicht zurückgeben und sollten die hinterlegten Sicherheiten nicht zur Tilgung des entstandenen Schadens ausreichen, begleicht der Fonds den entstandenen Fehlbetrag.

Warum hat die Wertpapierleihe einen allgemein schlechten Ruf?

Der schlechte Ruf der Wertpapierleihe bei vielen Anlegern liegt darin begründet, dass es sich bei einem Großteil der Entleiher um Hedge Fonds handelt, die Aktien zu Leerverkaufszwecken benötigen. Vor diesem Hintergrund ist das Vorurteil weitverbreitet, dass die Wertpapierleihe dazu führt, dass Aktienkurse von Unternehmen durch Leerverkäufe bewusst gedrückt werden bzw. es zu unerwünschten Kursschwankungen auf den Aktienmärkten kommt.

Dieser schlechte Ruf der Wertpapierleihe hält einer nüchternen Betrachtung jedoch nicht stand. Zum einen ist die Wertpapierleihe genauso wie Leerverkäufe ein Marktinstrument, das seit Hunderten von Jahren an den Finanzmärkten verbreitet ist (und somit keine Neuheit darstellt). Zum anderen sind nach Meinung der meisten Finanzwissenschaftler die durch die Wertpapierleihe ermöglichten Leerverkäufe von Wertpapieren ein notwendiger und wichtiger Teil eines gesunden Kapitalmarktökosystems. Wertpapierleihen tragen in Kombination mit Leerverkäufen dazu bei, dass Kursexzessen bei Wertpapieren Einhalt geboten wird.

Fazit

Die Wertpapierleihe stellt für Ver- und Entleiher eine Win-win-Situation dar. Verleiher erhöhen durch die Verleihgebühren ihre Renditen und Entleiher können beispielsweise durch Leerverkäufe mit geringem Kapitalaufwand große Summen auf den Kapitalmärkten bewegen. Neben Leerverkäufen trägt die Wertpapierleihe auch über einige weitere Finanzmarkttransaktionen, wie zum Beispiel Refinanzierungen und Kapitalerhöhungen, zu einem Funktionieren der Kapitalmärkte bei.